Ohnmächtiges St. Pauli

„Die Beständigkeit ist oft nur eine Form der Ohnmacht.“ – Théodore Jouffroy, Das grüne Heft

Ohnmacht auf St. Pauli. Ohnmacht gegen eine eingefahrene Dramaturgie, die am Ende nur das Machtgefüge stützt, das einem ohnehin schon die Sinne raubt. Anderen die Wohnung, neu dazu gekommenden die Bürger- und Menschenrechte.
Es ist die Ohnmacht der St. Paulianer_innen gegen das Kaputtbesitzen der ESSO-Häuser, die sich bei anderen wütend Bahn bricht: gegen ritualisiertes Rausschmeißen, das Wegmachen von Lebendigem. Die Ohnmacht der Gruppe Lampedusa bewegt mich ganz besonders, die sich nur mit Rückzug aus allen Gefahrengebieten dagegen schützen kann, instrumentalisiert zu werden. Von denen, die ihre Ohnmacht in alte weiße Wut umgemünzt haben.

Eine Wut, die berechtigt erscheint, angesichts der Ohnmacht gegen eine Presse, die schablonenartig Machtmeinung verfestigt. Auch zur Sicherung der eigenen Macht. (Immerhin, es gibt Lichtblicke)
Wut schäumt in mir hoch, wenn ich ohnmächtig zusehen muss, wie die Anliegen der Menschen in den Hintergund gemoppt werden, wenn schwarz gekleidete Krawalltouris die Davidwache überfallen und danach, den weißen Tommi Hilfiger Pullunder drüber gezogen, sich von Papi abholen lassen und die Osdorfer Landstraße runter in den Westen fahren. Oder zurück nach Köln.
Ohnmächtiges Entsetzen, wenn Bekannte Polizisten einen Persilschein ausstellen und sie bitten, ordentlich loszuprügeln damit das Weihnachtsshopping ungestört weitergehen kann. Wo andere Unverständnis empfinden, starre ich auf ein altes Drehbuch. Ohnmächtig etwas zu ändern.
Eine Ohnmacht, die Ekel erregt, wenn Polizeisprecher, Innensenator und Co. 7.500 Bürger zu Terroristen stempeln, Geschehen umdichten – und sicher sein können, damit durchzukommen.
Die gut abgehangene Ohnmacht meiner Nachbarin, die sich nicht vorstellen konnte, „dass wir mit 60 immer noch hier stehen und Gas ins Gesicht kriegen“. Sie wird nächstes Jahr 70.
Eine Ohnmacht, die sich überall ähnlich anfühlt. Und am Ende verfestigt sich der weiße Belag des Missbrauchs auf der Seele der Stadt.

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Fotos: Woelpel via flickr

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