„Nach allem, was wir wissen, ist unwahrscheinlich, dass die Männer in Deutschland bleiben können, weil sie bereits in Italien Zuflucht gefunden und dort humanitäre Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis erhalten haben.“, Senator M. Neumann.
Dieser Passus ist ja keine Conclusio, sondern die Prämisse. Herr Neumann führt mal wieder wortreich aus, an was für einer unrechtsstaatlichen Gesetzeslage seine Partei über Jahrzehnte aktiv mit gewirkt hat – und auch, wieso natürlich keiner der Refugees so doof ist, sich „individualisieren“ zu lassen. Die „Einzelfallprüfung“ ist einfach absurder Quatsch, weil sie durch die Regelung „sicheres Drittland“ aufgehoben ist, und das ganz offiziell in sämtlichen Verlautbarungen unserer Exekutive. Die gibt es nicht, wenn über ein „sicheres Drittland“ eingereist wurde. Und darauf ist das ganze Unrecht auch explizit angelegt: Auf Deportierbarkeit derer, die es irgendwie doch geschafft haben.
Unrecht deshalb, weil auch demokratische Entscheidungsverfahren nicht alles entscheiden dürfen. Ein Gesetz, das pauschal allen Menschen mit Nachnamen ‚Neumann‘ das Wahlrecht entzieht und ihnen Residenzpflicht in Owschlag und Büdelsdorf zuweist, wäre Unrecht. Diese groteske Hilfskonstruktion, dass, wer woanders angeblich Genfer Konvention und Co formal per staatlichem Beitritt irgendwie in potenzieller Reichweite hat, hier die Grund- und Menschenrechte verwirkt hat, ist eine Mischung aus „Ätschbätsch“-Zynismus und politischer Feigheit wie der ganze Text von Neumann wie auch die bundesrepublikanische Flüchtlingspolitik seit 1992. Die SPD wirkt an der Regierungsbildung in Berlin mit und hätte alle Möglichkeiten, dort darauf hinzuwirken, aus Unrecht Recht zu machen.
Neumann hat in seiner Textbausteinsammlung, in der Hamburger Bürgerschaft vorgetragen, fälschlich behauptet, grundsätzlich sei Willkür Kennzeichen totalitärer Systeme – auf den Stalinismus trifft das zu, auf Görings „Wer Jude ist, bestimme ich!“ auch.
Es gibt jedoch auch außerordentlich regelhafte und verlässliche Formen des Unrechts: Das preußische Dreiklassenwahlrecht, die Nürnberger „Rasse“-Gesetze, der Paragraph 175. Institutionalisierter Rassismus in demokratischen Staaten, das lange von der CDU verteidigte Recht auf Vergewaltigung in der Ehe – und der „Asylkompromiss“, Dublin II und so weiter eben auch. Wenn das Staatsbürgerrecht eine Priorität gegenüber den Grund- und Menschenrechten genießt und letztere an andere Staaten delegiert werden, dann weiß ich nicht, wie das rechtsstaatlich begründungsfähig sein soll. Da hat auch das Bundesverfassungsgericht völlig versagt.
Neumann führt aus, was passiert, wenn Verfahrensfragen und Rechtsbegründung eine nicht mehr zu schließende Kluft offenbaren. Dann stimmen die Gesetze nicht mehr. Er belegt das ausführlich.
(Das ist übrigens eine strikt liberale Ausführung hier gerade, gar keine linke).
Dieser Text ist zuerst in der Facebook-Page der Desorganisierten St. Pauli erschienen. Repost hier.