„Bei Union weisst Du nie, was Du bekommst. Der eine umarmt dich, der andere haut dir auf die Fresse“ – von wegen Blutsbrüder.
Tommy
So fasste mir gegenüber Tommy das Verhältnis zu Union einmal zusammen. Und in der Tat gibt es wohl kaum einen Club im bezahlten deutschen Fußball zu dem das Verhältnis ambivalenter sein könnte, als zum Verein aus Köpenick.
Immer noch wabert da zum Einen das grandiose Missverständnis durch die Fanschaft, dass Union und St. Pauli sowas wie Blutsbrüder seien.
Es gibt keine Fanfreundschaft zwischen Union und St. Pauli
Aufgenommen und auf die Spitze getrieben am Freitag Abend in einem boshaften Aprilscherz von Seiten des Wuhlesyndicats, das St. Pauli Devotionalien, allesamt geraubt, zu dem Banner „FCU – St. Pauli Blutsbrüder“ – „April April“ über den Zaun hängte und anzündete.
Ich rege mich ja gar nicht mehr über „Scheiss St. Pauli“-Rufe auf. Hab ich noch nie, finde ich eher witzig.
Mich regt auf, dass unsere Ordner da nicht einschreiten und einfach zusehen, nur einen Meter vom Zaun entfernt. Mich regt das auch auf, weil ich viele gute und nette Freunde habe, die sowohl Unioner, als auch St. Paulianer_innen sind. Mich regt das auf, weil mir die hässliche Seite Unions schon so lange ein Dorn im Auge ist. Mich regt es auf, weil der 1. FC Union und seine Fanschaft es seit Jahren nicht schaffen, die Dumpfbratzen aus ihrem Stadion zu scheuchen – mehr noch – sie umhegen mit einer unpolitischen Grundtoleranz, die sich als schlecht maskierte Denkfaulheit und Haltungssangst offenbart.
Meine schlechten Erfahrungen mit Unionern, bei Union und nun mit Unionern bei uns, sind mannigfaltig und schmerzen ein wenig. So please do not call us Blutsbrüder.
Zum Thema hatte ich vor ein paar Jahren schonmal eine Bloggerdebatte mit den freundlichen Unionern von @textilvergehen:
Es gibt viele Freundschaften von coolen Unionen und St. Pauli
Im Zuge der “Bluten für Union” Aktion und dem Benefizspiel von St. Pauli in Berlin gab es die Blutsbrüder T-Shirts. Viel ist von Verwandtschaft der beiden Klubs die Rede. Union besitzt im Gegensatz zu St. Pauli kein eindeutig politisches Profil und wurde zum Beispiel zwischenzeitlich von linker Seite sehr dafür kritisiert (Bsp: Jungle World 2007: Ende eines Missverständnisses). Wo siehst Du Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Fankulturen der beiden Vereine? Und wie kommt es Deiner Meinung nach dazu, die mediale Wahrnehmung von St. Pauli und Union so ähnlich ist?
Ich hatte erst zweimal Berührung mit Union-Fans, einmal vor fünf Jahren und einmal am Montag. Man kann sagen, wir, der 1. FC Union und ich, sind auf einem guten Weg. Am vergangenen Montag in der Wuhlheide habe ich meinen Totenkopf drunter getragen, was zum einen dem Hamburger Wetter und zum anderen der Unsicherheit geschuldet war. “Bei Union kann es so oder so laufen, entweder sie freuen sich Dich zu sehen, oder sie hauen Dir eine rein”, hatte mir ein Freund mit auf den Weg gegeben. Das Problem sei, dass man die beiden Gesichter von Union nicht gleich auseinanderhalten kann.
Sebastian hatte mich nach kritischen Zitaten in meinem magischen social stream gefragt.
Hier einige Zitate zu Union x FC St. Pauli:
T. (dem Autoren bekannt 😉
»Bin 2002 mal zu nem Spiel mit 6-7 Leuten mit der Strassenbahn da angereist. Beim Umsteigen am Bahnhof Köpenick sind wir von ner ganzen Horde solcher Idioten mit einem Flaschenhagel empfangen worden und waren froh, daß dort einige Polizisten rumstanden und uns vor schlimmerem bewahrten. Es gibt allerdings genau so viele nette Fans von Union, eine Handvoll davon kommen zu fast jedem St. Pauli Heimspiel nach Hamburg gereist.«
A. via Facebook
»Sind “die guten” nicht alle zum Babelsberger SV abgewandert? Behaupten zumindest die, die zu Babelsberg abgewandert sind. Ich persönlich besitze da aber nur gefährliches Halbwissen. Solange Nina Hagen noch die Stadionhymne singt…»
Gemeinsamkeiten gibt es viele. Beispielsweise die fröhliche und energische Erkenntnis, dass die Fans diesen Verein ausmachen. Das wirkt eben vor allem in Zeiten der existentiellen Krise, wenn Menschen sich auf etwas gemeinsames konzentrieren, wie die alte Försterei zu renovieren oder die Retter-Aktion am Millerntor. Das ist dann Kult- und Kultur-stiftend.
Das dreht dann die Magie zurück in Richtung Erde und wirkt lange nach. Die Stadion-Rettungs-Aktion in der Wuhlheide ist ja ein ureigenes Kulturstück des 1. FC Union. Eines, zu dem wir am Millerntor vielleicht gar nicht in der Lage wären.
Wesentlicher Unterschied scheint mir zu sein, dass auf St. Pauli die Erkenntnis vorherrscht, dass Fußball sehr wohl eine politische Veranstaltung ist. Ist auch meine. Wenn 20.000 Menschen in einem Stadion und Tausende vor dem AFM-Webradio das Spiel verfolgen, in diesen zwei Stunden sich artikulieren und ja, auch medial inszenieren, dann ist das politisch. Da kann man sich gar nicht gegen wehren, man muss es aber auch zur Kenntnis nehmen.
Wenn ich den Artikel in der Jungle World und meine eigene Erfahrung da zusammennehme, dann scheint diese Diskussion beim 1. FC Union Berlin immer vermieden worden zu sein. Argumente, wie “das sind doch wenige” oder “das ist keine Politik, sondern Fußball” helfen da aber nicht weiter. Eines der wesentlichen Gründe, weswegen der FC St. Pauli in seiner heterogenen Streitkultur so einig erscheint, ist der Raum, auf den wir uns geeinigt haben.
Wir bewegen uns nicht mit Rassisten, versuchen den Sexisten in uns zu zähmen (schwer genug 😉 und uns eint, bei allem Streit, das Bekenntnis zu den Grundsätzen der politischen Streitkultur.