{"id":15406,"date":"2018-11-17T14:13:43","date_gmt":"2018-11-17T13:13:43","guid":{"rendered":"https:\/\/www.stpaulinu.de\/?p=15406"},"modified":"2023-10-16T08:46:13","modified_gmt":"2023-10-16T07:46:13","slug":"st-pauli-vorgelesen-der-traum","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.stpaulinu.de\/st-pauli-vorgelesen-der-traum\/","title":{"rendered":"St. Pauli vorgelesen: Der Traum"},"content":{"rendered":"<figure id=\"attachment_15407\" aria-describedby=\"caption-attachment-15407\" style=\"width: 940px\" class=\"wp-caption aligncenter\"><img loading=\"lazy\" decoding=\"async\" src=\"https:\/\/www.stpaulinu.de\/wp-content\/uploads\/16498355019_d15498c92a_h-940x575.jpg\" alt=\"St. Pauli Landungsbr\u00fccken, Hamburg\" width=\"940\" height=\"575\" class=\"size-large wp-image-15407\" \/><figcaption id=\"caption-attachment-15407\" class=\"wp-caption-text\">St. Pauli Landungsbr\u00fccken: Photo credit: MontanNito on Visual hunt \/ CC BY-NC-SA<\/figcaption><\/figure>\n<h3>Wolfgang Borchert: &#8222;Drau\u00dfen vor der T\u00fcr&#8220; Kapitel 5<\/h3>\n<h4>Der Traum<\/h4>\n<h2>Sankt Pauli vorgelesen<\/h2>\n<p><strong>Literatur, die auf St. Pauli spielt; vorgelesen zum Internationalen Vorlesetag.<\/strong><br \/>\nEin junger Mann, vom Krieg gezeichnet, lebensm\u00fcde, springt an den St. Pauli Landungsbr\u00fccken in den sicheren Tod. Denkt er.<br \/>\n<script class=\"podigee-podcast-player\" src=\"https:\/\/cdn.podigee.com\/podcast-player\/javascripts\/podigee-podcast-player.js\" data-configuration=\"https:\/\/stpauli.podigee.io\/b28-vorlesetag2018-selbstmord-elbe\/embed\"><\/script><\/p>\n<blockquote><p><strong><em>(In der Elbe. Eint\u00f6niges Klatschen kleiner Wellen. Die Elbe. Beckmann.)<\/em><\/strong><br \/>\nBeckmann: Wo bin ich? Mein Gott, wo bin ich denn hier?<br \/>\nElbe: Bei mir.<br \/>\nBeckmann: Bei dir? Und \u2013 wer bist du?<br \/>\nElbe: Wer soll ich denn sein, du K\u00fcken, wenn du in St. Pauli von den Landungsbr\u00fccken ins Wasser springst?<br \/>\nBeckmann: Die Elbe?<br \/>\nElbe: Ja, die. Die Elbe.<br \/>\nBeckmann (staunt): Du bist die Elbe!<br \/>\nElbe: Ah, rei\u00dft du deine Kinderaugen auf, wie? Du hast wohl gedacht, ich w\u00e4re ein romantisches junges M\u00e4dchen mit bla\u00dfgr\u00fcnem Teint? Typ Ophelia mit Wasserrosen im aufgel\u00f6sten Haar? Du hast am Ende gedacht, du k\u00f6nntest in meinen s\u00fc\u00dfduftenden Lilienarmen die Ewigkeit verbringen. Nee, mein Sohn, das war ein Irrtum von dir. Ich bin weder romantisch noch s\u00fc\u00dfduftend. Ein anst\u00e4ndiger Flu\u00df stinkt. Jawohl. Nach \u00d6l und Fisch. Was willst du hier?<br \/>\nBeckmann: Pennen. Da oben halte ich das nicht mehr aus. Das mache ich nicht mehr mit. Pennen will ich. Tot sein. Mein ganzes Leben lang tot sein. Und pennen. Endlich in Ruhe pennen. Zehntausend N\u00e4chte pennen.<br \/>\nElbe: Du willst auskneifen, du Gr\u00fcnschnabel, was? Du glaubst, du kannst das nicht mehr aushalten, hm? Da oben, wie? Du bildest dir ein, du hast schon genug mitgemacht, du kleiner Stift. Wie alt bist du denn, du verzagter Anf\u00e4nger?<br \/>\nBeckmann: F\u00fcnfundzwanzig. Und jetzt will ich pennen.<br \/>\nElbe: Sieh mal, f\u00fcnfundzwanzig. Und den Rest verpennen. F\u00fcnfundzwanzig und bei Nacht und Nebel ins Wasser steigen, weil man nicht mehr kann. Was kannst du denn nicht mehr, du Greis?<br \/>\nBeckmann: Alles, alles kann ich nicht mehr da oben. Ich kann nicht mehr hungern. Ich kann nicht mehr humpeln und vor meinem Bett stehen und wieder aus dem Haus raushumpeln, weil das Bett besetzt ist. Das Bein, das Bett, das Brot \u2013 ich kann das nicht mehr, verstehst du!<br \/>\nElbe: Nein. Du Rotznase von einem Selbstm\u00f6rder. Nein, h\u00f6rst du! Glaubst du etwa, weil deine Frau nicht mehr mit dir spielen will, weil du hinken mu\u00dft und weil dein Bauch knurrt, deswegen kannst du hier bei mir untern Rock kriechen? Einfach so ins Wasser jumpen? Du, wenn alle, die Hunger haben, sich ersaufen wollten, dann w\u00fcrde die gute alte Erde kahl wie die Glatze eines M\u00f6belpackers werden, kahl und blank. Nee, gibt es nicht, mein Junge. Bei mir kommst du mit solchen Ausfl\u00fcchten nicht durch. Bei mir wirst du abgemeldet. Die Hosen sollte man dir strammziehen, Kleiner, jawohl! Auch wenn du sechs Jahre Soldat warst. Alle waren das. Und die hinken alle irgendwo. Such dir ein anderes Bett, wenn deins besetzt ist. Ich will dein armseliges bi\u00dfchen Leben nicht. Du bist mir zu wenig, mein Junge. La\u00df dir das von einer alten Frau sagen: Lebe erst mal. La\u00df dich treten. Tritt wieder! Wenn du den Kanal voll hast, hier, bis oben, wenn du lahmgestrampelt bist und wenn dein Herz auf allen vieren angekrochen kommt, dann k\u00f6nnen wir mal wieder \u00fcber die Sache reden. Aber jetzt machst du keinen Unsinn, klar? Jetzt verschwindest du hier, mein Goldjunge. Deine kleine Handvoll Leben ist mir verdammt zu wenig. Behalt sie. Ich will sie nicht, du gerade eben Angefangener. Halt den Mund, mein kleiner Menschensohn! Ich will dir was sagen, ganz leise, ins Ohr, du, komm her: ich schei\u00df auf deinen Selbstmord! Du S\u00e4ugling. Pa\u00df gut auf, was ich mit dir mache, <em>(laut)<\/em> Hallo, Jungens! Werft diesen Kleinen hier bei Blankenese wieder auf den Sand! Er will es nochmal versuchen, hat er mir eben versprochen. Aber sachte, er sagt, er hat ein schlimmes Bein, der Lausebengel, der gr\u00fcne!<\/p><\/blockquote>\n<blockquote><p>Wolfgang Borcherts Drama \u00bbDrau\u00dfen vor der T\u00fcr\u00ab handelt von der existenziellen Not des jungen Kriegsheimkehrers Beckmann. Aufgewachsen im nationalsozialistischen Deutschland und nach Jahren an der Front hat der f\u00fcnfundzwanzigj\u00e4hrige Protagonist nichts, an das er nach dem Krieg ankn\u00fcpfen k\u00f6nnte. Er leidet unter seiner Schuld und f\u00fchlt sich von der Gesellschaft, die nichts mehr vom Krieg wissen will, ausgeschlossen. Das St\u00fcck spielt in Hamburg nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Urauff\u00fchrung fand am 21. November 1947 statt, einen Tag nach dem Tod des Autors.<br \/>\nQuelle: Drau\u00dfen vor der T\u00fcr &#8211; Wolfgang Borchert &#8211; Inhaltsangabe<\/p>\n<blockquote class=\"wp-embedded-content\" data-secret=\"Hgv5lyd0HT\"><p><a href=\"https:\/\/www.inhaltsangabe.de\/borchert\/draussen-vor-der-tuer\/\">Drau\u00dfen vor der T\u00fcr<\/a><\/p><\/blockquote>\n<p><iframe class=\"wp-embedded-content\" sandbox=\"allow-scripts\" security=\"restricted\" style=\"position: absolute; clip: rect(1px, 1px, 1px, 1px);\" title=\"&#8222;Drau\u00dfen vor der T\u00fcr&#8220; &#8212; Inhaltsangabe.de\" src=\"https:\/\/www.inhaltsangabe.de\/borchert\/draussen-vor-der-tuer\/embed\/#?secret=mqVUqkykdg#?secret=Hgv5lyd0HT\" data-secret=\"Hgv5lyd0HT\" width=\"500\" height=\"282\" frameborder=\"0\" marginwidth=\"0\" marginheight=\"0\" scrolling=\"no\"><\/iframe>\n<\/p><\/blockquote>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"<p>Wolfgang Borchert: &#8222;Drau\u00dfen vor der T\u00fcr&#8220; Kapitel 5 Der Traum Sankt Pauli vorgelesen Literatur, die auf St. Pauli spielt; vorgelesen zum Internationalen Vorlesetag. 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