Carsten Harms ist Redakteur beim Hamburger Abendblatt und hat heute in seinem Kommentar „St. Paulis schwerer Weg“ der Diskussion wiedergängerisch den Weg bereitet, ob der FC St. Pauli nicht doch seinen Stadionnamen verkaufen sollte, und gelbe Karten von „Geflügelwurstwarenherstellern“ präsentieren.
Es klingt wie die Quadratur des Kreises: Wie kann ein Verein in dieser Zeit der immer weiter zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs sportlich erfolgreich sein und es sich dennoch dauerhaft leisten, auf Millioneneinnahmen aus bestimmten Formen der Vermarktung zu verzichten?
Dabei offenbart er zwei für Sportredakteure erschreckende Defizite: Geringe Kenntnis des FC St. Pauli und wenig wirtschaftlichen Sachverstand.
Das erste Defizit ist oft anzutreffen bei Journalisten, leider. Ich halte nach wie vor Lutz Wöckener für den letzten gut informierten, im Sinne von Überblick.
Selbst wenn Michael Meeske wollte, lieber Carsten, er dürfte den Stadionnamen nicht verkaufen. Dazu gibt es einen Beschluss der JHV, unseres höchsten souveränen Gremiums, in dem im Gegensatz zum Bundestag nicht nur viel weniger Anwälte sitzen, sondern vor allem keine Abnicker_innen.
Das hätte man wissen, oder schnell recherchieren können. Womit wir zur wesentlich fundamentaleren Fehleinschätzung des Kollegen Harms kommen:
Konkret hätte man womöglich die Ablösesumme für den zuvor ausgeliehenen Torjäger Daniel Ginczek berappen können. Doch der FC St. Pauli hat sich entschieden, den schwereren Weg zu gehen, auch weil er das Image des besonderen Clubs im Profifußball auf keinen Fall aufgeben, sondern weiterpflegen will.
„Dieser Weg wird kein leichter Sein“, der unsägliche Xavier Naidoo singt das Lied zu Deinem Text Carsten Harms …
Eigentlich ist das sehr ärgerlich, aber nichts Neues, dass man im Hamburger Abendblatt auch in der Sportredaktion die Verkürzungen des Neoliberalismus wieder findet. Tatsächlich verhält es sich mit dem FC St. Pauli genau anders herum, als Carsten Harms behauptet: Gerade der Verzicht auf Maßnahmen wie die benannten, sind es, die den FC St. Pauli zu keinem ‚Adabei‘-Verein machen, wie man in München diejenigen nennt, die nichts besonderes, aber eben immer irgendwie dabei sind, sein wollen.
Das ist doch die viel größere Bedrohung, siehe 1860 München oder 1. FC Köln. Und wie schwer es ist, seine Identität zu bewahren, wenn das Heimatstadion zum vierten Mal anders heißen soll, steht auch noch auf derselben Seite.
Nein: Gerade der Diskurs auf Augenhöhe, für den wir Sozialromantiker in diesem Verein immer wieder einstehen, hat in bizarrer Weise dazu geführt, dass sich der FC St. Pauli besser vermarkten lässt, als jeder andere Club, außer Bayern München und der BVB.
Das Ausblenden bspw. von sozialem Frieden bei der Bewertung des Wirtschaftsstandortes, das Wegrechnen von Folgekosten durch Klimaschäden bei Produktionen in China oder dieser Kommentar von Carsten Harms: immer wieder denken und schreiben Journalisten zu kurz.
Entweder aus Unvermögen oder Absicht. Und ich befürchte letzteres: Die Diskussion um den Verkauf des Stadionnamens ist wieder ‚auf der Rampe‘, wie man das bei Lobbyisten nennt. Und es würde mich interessieren, wer das im Verein voran treibt?