FC St. Pauli – Darmstadt 98: den Millerntor-Roarr gibts nicht umsonst


Read-Out-Loud Podcast zur Niederlage gegen Darmstadt


20:30 Uhr Anpfiff, da fragt sich der Zweitligazuschauer: was mache ich mit dem ganzen langen Tag? Früh treffen, war meine Antwort. Und so tingelten Willi und ich durch das Schanzenviertel auf der Suche nach etwas Grundlage. Fündig wurden wir bei der Falafel in der Becksstraße. Nach einem netten Schnack mit dem Wirt, der uns einen tollen Fußballabend und dem FCSP drei Punkte wünschte, setzten wir uns in die letzten Sonnenstrahlen auf eine Bank und genossen einfach unsere Vorfreude auf das Millerntor.

Erste Aufregung: 2G und den Impfausweis vergessen

Aufregend wurde es dann sogar noch vor dem Spiel. Nee, unsere Dauerkarten hatten wir alle dabei, nur ein Handy fehlte, auf dem – ihr ahnt es – ja seit einem Jahr nicht mehr nur Daddelspiele sind und die Nummer vom Taxiruf, sondern etwas lebenswichtiges: der digitale Impfausweis. Durch 2G-Regel am Millerntor, die uns nicht nur die Querdenker-Ultras aus Nürnberg aus der Kurve hält, sondern fast auch einen der unseren. Zum Glück kramte M. dann noch seinen papiernen gelben Schein aus der Hosentasche und so konnte es pünktlich losgehen.

Die Sonne schaffte es nicht mehr ganz zwischen die magische Ecke zwischen Nord und Haupt, die den Mai ankündigt (schon seit Urzeiten bauen die Menschen in unserer Gegend ja Steinzeichen, an denen sie den Stand der Sonne und damit des Jahres markieren) und so half die Süd mit ein wenig Licht aus. Alles roch und leuchtete nach Aufstieg. Volles Millerntor, laute Gästekurve. Und dann kamen sie …

… nein, ich meine nicht die Darmstädter in der 8. Minute über ihre linke, sondern die häßliche Seite der Nordkurve, St. Pauli fans, die sich in dieser fast überwunden geglaubten „Ich-stehe-hier-schon-seit-der-Regionalliga“-Attitude vor dich drängeln und murrend sich ein paar Meter nach oben verpfeifen, wenn sie merken, dass ihre Rentnerstange schon besetzt ist – nicht nur mit uns, sondern mit uns, die eine gute halbe Stunde vor ihnen da waren.

Mit Anpfiff wird dann von oben gekeift. Auf unseren Spieler rumgehackt und dabei – so en Passant auch noch demonstriert, dass man von Fußball so gar keine Ahnung hat. Das nervt.

Eingeschritten bin ich dann, als der Schiri mit einem Sehfehler verwechselt wurde und „Ej Du Blinder“ noch das netteste war. Auf meinen Hinweis, dass auch Ableismus in unserem Stadion nicht drin ist, schimpfte die Truppe weiter; nun wenigstens über mich; da hatten die Spieler eine weile ihre Ruhe vor den Typen. Und selbst der Schiri.

„Wir sind hier wohl in der Modefan-Ecke gelandet“

Stinker hinter mir, nachdem ich ihn an die Stadionordung erinnern musste

„Boah, die nerven jetzt echt“, ächzte W., den normalerweise auch eine Herde wild gewordener Stachelschweine nicht aus der Ruhe bringen. „Auch komisch, wie ungeniert die ihre Ahnungslosigkeit auch noch feiern“, ergänzte M. – allein, es wurde nicht besser.

Auch nicht, als die Boys in Brown in der 2. Halbzeit die Darmstädter einschnürten. Auch nicht, als Torschuss auf Flanke auf Kopfball auf das Tor vor uns zuschossen. Eine Übung in stoischer Ruhe nach hinten und anfeuern nach vorne.

Der Roarr, lange vermisst – war wieder da

Dabei lief alles nach St. Paulianischem Drehbuch: Anschlusstreffer in der 80. Minute durch einen genesenen Helden, der eigentlich gar nicht vorgesehen war, diese Rolle zu spielen (auch dass Buchti in seinem wahrscheinlich vorletzten Heimspiel so eine tolle Rolle spielte noch am Ende, passt doch!). Das Stadion schwoll von der Gegengerade kommend den Roarr in unsere Richtung und fegte die Schimpfereien der paar Spinner hinter uns hinweg. Was dem Millerntor auch fast mit den drei Darmstädter punkten gelungen wäre, die diese, sich wahlweise auf dem Rasen wälzend oder anderswie Zeit schindend, zu erschummeln versuchten.

Ja, dieses Spiel hat Spaß gemacht. Trotz der Niederlage. Und ein lautes YNWA hätten sich unsere Jungs verdient gehabt. Was ist mit euch los, Nordkurve?

https://twitter.com/ring2/status/1518216460841148416

Ich möchte nochmal daran erinnern, dass viele der Boys diese Magie gar nicht kennen. Lassen wir sie bitte nicht mit irgendwelchen Ansprüchen vom Boulevard und den Pfeifen hinter mir allein (die keine 20 Sekunden nach dem Abpfiff verschwunden waren) – und singen sie auch nach einer solchen Niederlage in den verdienten Feierabend.

Den gab es dann auch für mich noch in der Domschänke, wo ich mehrmals und lauthals singend meine Begeisterung über dieses Erleben mitteilen konnte. „Spielst ganz woanders, in Liga 2“ …