Hamburger gegen Gewalt – Die Gewissensfrage mal anders herum gestellt

Es ist ein Nebenaspekt der politischen Deutung der Gewalt am 21.12.13, dass nun überall Verbalpazifisten sich melden und so etwas von sich geben, wie „Gewalt geht ja gar nicht“ oder ähnliches. Das Hamburger Abendblatt hat sogar Aufkleber drucken lassen: „Hamburg Gegen Gewalt“ – was schwer zu kritisieren ist; ich will es trotzdem versuchen und zwar mit einem alten Mittel der „Gegenseite“: dem Gewissenstest.

Als ich jung war, in den wilden 80er Jahren wurden bei Totalverweigerern der Bundeswehr so genannte Gewissenstests und Befragungen durchgeführt, um zu ergründen, ob der Antragsteller tatsächlich aus pazifistischer Grundhaltung heraus den Dienst an der Waffe verweigert, oder einfach ein faules Subjekt darstellt, das lieber Kindergärten bewacht als das Vaterland zu verteidigen.
Die Befragung ging in etwa so (frei nach Sven Regener): „Stellen Sie sich vor, der Russe kommt und sie sind mit ihrer Frau und Familie allein Zuhause, und nun wollen die Russen ihre Frau vergewaltigen, und Sie haben eine Waffe. Was machen Sie? Sehen Sie friedlich zu, wie ihre Familie …“ und so weiter.
Ein moderner Gewissenstest für prinzipiell Gewaltlose sähe dann vielleicht so aus:
„Sie sind mit ihrer Familie auf einem friedlichen Familienfest und gehen danach in ihre Lieblingskneipe. Dann stürmen unvermittelt Polizisten in Kampfmontur herein und sprühen Kampfgas in den abgeschlossenen Raum, schlagen ihrem Freund vier Zähne aus und Ihnen schmerzhaft und potenziell lebensbedrohlich in den Magen. Sie wissen, dass sie die Vermummten nicht werden zur Rechenschaft ziehen können, weil sie sie nicht identifizieren können. Sie können kaum noch atmen, und dann finden Sie auf dem Boden eine Flasche. …“
Ich wäre auf eine Diskussion gespannt, die Selbstverteidigung und Nothilfe gegenüber wild gewordenen Hooligans in Uniform thematisiert. Dumm nur, dass sich die meisten extremen Gewaltentsager in ihren Altbauwohnungen nie vorstellen können, in so eine Situation zu kommen. Doch das ändert sich gerade. Die Bewohner_innen Altonas und St. Paulis haben in kleinen oder großen Dosen einen Vorgeschmack davon bekommen: Kein Bier mehr holen zu dürfen nach Feierabend, nur wegen seines Aussehens schikaniert, herumgeschubst zu werden, auch bis zur Bewusstlosigkeit getreten vielleicht. Und viele fangen an zu begreifen, wohin der Missbrauch von staatlicher Gewalt führen kann, und wie ignorant die platten Antigewalt-Aufrufe auf Betroffene dann wirken.
Solange Polizeigewalt nicht breit und konsequent diskutiert wird, bleiben Aufrufe gegen Gewalt zwar aller Ehren wert, aber nur die billige Seite einer Medaille.

ps Wie bei jeder Polemik, wird auch in diesem Beitrag ein Thema überspitzt dargestellt. Der Autor hat Erfahrung mit Notwehr-Situationen, glücklicherweise nicht mit Polizisten. Für mich persönlich kann ich sagen, dass ich mir Situationen vorstellen kann, die Nothilfe und Selbstverteidigung auch gegen Träger_innen des Gewaltmonopols erfordern. Ich hoffe aber, dass ich nie in eine solche Situation komme, immerhin wohne ich in einer Altbauwohnung.
pps Ich empfinde es als unverschämt, wenn Politiker und Polizeiführer Kritik am Vorgehen der Polizei als Verharmlosung von Gewalt verdrehen und wenn dann Verletzte gegen Kritiker_innen in Stellung gebracht werden, wie bei Christiane Schneider (Die Linke) von mir so wahrgenommen. Das instrumentalisiert Opfer von Gewalt in einem nicht zu tolerierenden Maß. Pfui.

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