Profifussball oder Anderssein, das ist hier die Frage, FCSP!

Mutlos, blutleer, panisch und verschreckt. Ohne Struktur und Gegenwehr. Das sind die Attribute, die sich die Mannschaft des FC St. Pauli derzeit anheften muss – und sie haften wie superstronges Gaffa-Tape.

Ich schaue aus dem Wohnzimmerfenster und sehe eine eiskalte Bö über den Platz vor meiner Tür fegen. Sie treibt eine Zeitung aus dem letzten Jahr vor sich her. Würde mich wundern, wenn da etwas anderes drin stünde. St. Pauli verharrt in Angst und vertieft die Winterdepression. Nicht einmal mehr Wut will sich zeigen, leer und duster ertrinkt das Projekt Neustart im kalten Matsch der Januarrealität. Ich kriege mich selbst nicht mehr motiviert, nicht einmal um mich aufzuregen. So schlimm ist es – wie kann ich dann erwarten, dass die Mannschaft das tut?

Aktionismus und die Gesetze des Profifussballs

Timo Schultz jedenfalls hat nach dem Drücken des berühmten Resetknopfes schon weit vor Weihnachten keine Patrone mehr im Gürtel, so scheint es. Anders lässt sich die merkwürdige Demission von Robin Himmelmann nicht erklären. Der erklärt sich derweil auf Facebook, pathetisch nichtssagend als gesunden Torwart mit einer Menge offener Fragen. Wird da nicht sauber kommuniziert?, fragt sich der geneigte Supporter und sieht unter dem in wohlklingenden Buchstaben gehüllten Wappenküssen der Ex-Nummer-1 den modrigen Geruch von Rette-sich-wer-kann hervor steigen.

„Ich bin topfit, kerngesund und hatte bislang nicht die Ambition diesen Verein zu verlassen“

– Robin Himmelmann

Knoll, Himmelmann, Avevor, Ziereis und auch Benatelli – von einer Horrorhinrunde verletzt und aussortiert, bilden den Trester des einst von Stöver zusammengestellten Kaders und eben kein Rückgrat, wie im Sommer noch gehofft. Im Fall von Knoll sogar gegen alle Einwände, wie man hört – von Innen und Außen.

Nach den Gesetzen des Profifußballs wird die Luft für Schulle dünn. Und auch wenn er pfeifend im Blätterwald verkündet, das Nachspielen gegen Würzburg wäre kein „Endspiel“, ahnt er zurecht, dass es doch eines ist.

Geht der Anschluss an das rettende Ufer verloren und spielt der FCSP das dritte Spiel in Folge so desolat, schaffen es die Boys in Brown nicht, die eingangs formulierten Attribute abzuschütteln, steht Schulle vor dem Scherbenhaufen seines Neustarts aus dem Sommer.

Der Podcast zum Thema „Schulles Endspiel“

Die strategische Frage: Anderssein oder Profifussball. – beides scheint nicht zu funktionieren

Dieser Neustart sollte ein stpaulianischer sein, mit einem Urgestein als Dirigent. Profifußball als Plattform, das sozial-kulturelle Anliegen des FCSP zu tragen; einen anderen Fußball möglich zu machen.

Nach dem nunmehr dritten Abstiegskampf in fünf Jahren muss man wohl zugegeben: dieser Ansatz scheitert – immer wieder.

Der letzte, der mit Schulle, weil sich auch dieser nicht durchringen kann, sein Versprechen konsequent einzulösen – nämlich losgelöst von SKY-Analysen und Zweitligarealitäten einen anderen, einen begeisternden Fußball spielen zu lassen – fröhliche Attacke, koste es, was es wolle.

Freibeuter-Attitude, die zu Beginn aufblitzte, nach einer Niederlagenserie aber verloren ging. Das ist die eigentliche Tragik, dass sich das Umfeld, der Trainer UND die Mannschaft an die Gesetzmässigkeiten des Profifußballs wieder klammern, die sie loszuwerden versprochen haben.

Der FCSP ist Braunschweig, Sandhausen und Würzburg entgegen getaumelt – nicht nur spielerisch, kaum noch von denen zu unterscheiden. Das ist die eigentliche Verletzung, für die Schulle und Bornemann die Verantwortung tragen.

Trotzdem wichtig: Kontinuität.

Ich bin auch kein Freund von Aktionismen, befürchte aber, dass sie eintreten – beharrt der FC St. Pauli darauf, diese hybride Strategie zu fahren; einerseits Andersseinwollen und andererseits stinknormalen Profifussball zu spielen.

Drei Optionen hat Oke nun, die alle nicht rosig erscheinen:

  1. Schulle feuern und einen erfahrenen Abstiegsrecken als Trainer verpflichten. Markus Favorit in unseren Podcasts vor Weihnachten: Friedhelm Funkel. Das bedeutete das Ende des stpaulianischen Experiments. Bornemann als Sportchef hat bisher auch kein Gespür dafür gezeigt, ein dezidiert stpaulianisches Profil zu haben. Also ginge alles den Gang des Profifussballs. Dies scheint mir die wahrscheinlichste Variante, sollte Schulles 11 die Kurve nicht noch kratzen.
  2. Back to Jugend: eine Variante wäre, Schulle aus dem Feuer zu nehmen und ihm die Leitung des NLZ anzuvertrauen. Back to the roots quasi. Wie das vonstatten gehen kann, ohne dass einer das Gesicht verliert, weiß ich aber nicht.
  3. Festhalten, komme was wolle: die dritte Möglichkeit, die Markus für am besten hielte. Kontinuität entgegen allen Zerrungen und Wirkungen von Boulevard und Fanschaft. Stimmt es im Team immer noch?, dann kann das klappen. Knolls Boulevardsucht und Himmelmanns Geunke aber zeugen von einem zerrissenem Team. Festhalten geht also nur durch das Wegschicken von Himmelmann und Knoll, das konsequente Neubesetzen des Kaders.

Das wären alles Maßnahmen, die dem hybriden Modell folgen würden. Eine strategische Neuausrichtung, weg vom Profifussball, hin zum Anderssein, erkenne ich nicht. Und das ist die Tragik der Situation: entscheiden wir uns nicht für das eine oder das andere, ist der Abstiegskampf unsere Zukunftsvision. Was nicht schlimm wäre, hätte das Kämpfen einen tieferen Sinn. ;(