Quo Vadis St. Pauli? – Corona Edition

Der moderne Fußball ist kaputt. Das haben wir, die den FC St. Pauli supporten, doch irgendwie schon immer gewusst. Corona hat uns nun das ganze Elend aufgezeigt, auf dem unsere Leidenschaft fußt. Wie in anderen Bereichen unseres Lebens, wirft uns die Corona-Krise nicht nur auf existenzielles zurück – und dazu gehört der Fußball eben nicht! – sondern sie zeigt uns auch, was entbehrlich ist.

Ich habe mich beinahe vom “#Bundesliga”-#Fussball entwöhnt, emotional verkatert frage ich mich jetzt: was bedeutet das für mein Verhältnis zum #FCSP?

ring2 auf Twitter

Was mir fehlt: die Menschen in meinem Verein, das Treffen vor und nach den Spielen, das Erschaffen eines politisch-kulturellen Gewebes, in dem es sich lohnt zu leben. Ein Gewebe, das meine Freunde Willi, Christian und Markus (um mal drei von vielen zu nennen), die Nord, den Wind und den Regen mit dem Rasen und dem Spiel verwebt; unsere Vorstellung einer gerechten Welt manifestieren zu lassen. Auf die Beschaffenheit des Tages selbst einzuwirken. Wer das einmal gefühlt hat, will das immer wieder – und nimmt auch Christian Seifert in Kauf.

Was mir nicht fehlt: der Profifußball mit seinen ultrakapitalistischen Regeln, seiner glatten, reinen Gier als Antriebsfeder. Seinen Logo-küssenden Soloselbstständigen, von denen wir uns in einer Art Stockholm-Syndrom einreden, dass sie zu uns gehören. Vielleicht fühlen das einige sogar, Mats und Max, bei Ralle und Kalla bin ich mir fast sicher – in einer Art gemeinsamer Geiselhaft.

Was ich mir eingestehen muss: Kritik habe ich viel geäußert, sogar kaputt machen wollten wir den FCSP in einem Podcast letztes Jahr. Im Kleinen haben wir sogar ein paar Siege davon getragen, gegen DFL und Co.. Dennoch muss ich, wenn ich darüber nachdenke, zugeben: ich bin Teil dieses modernen Fußballs, mein Verein ist Akteur – einer von 36 im deutschen Profifußball – und mein Präsident eines von sieben Präsidiumsmitgliedern der DFL. Ich bin Teil des Problem, mein Verein auch.

Was ich erkenne: Die Geisterspiele zeigen mir, der Profifußball braucht Menschen, wie mich nicht. Menschen, die ich in mannigfaltiger Form beim FCSP vorfinde. Und: ich brauche den Profifußball nicht. Die Geisterspiele des FC St. Pauli gehen mir eingermaßen am Mors vorbei. Ich fühle eine enttäuschte Traurigkeit, eine geisterhafte Vorführung dessen, was für mich Fußball ausmacht. Da hilft auch das famose AFM Radio nicht.

Es gibt keinen richtigen Fußball im Falschen

Jolly Rouge am Millerntor

Ich spüre, es ist die Zeit gekommen, uns vollständig infrage zu stellen. „Bring Back St. Pauli“, der Schlachtruf der Sozialromantiker von 2011 reicht nicht mehr. Es gibt kein Zurück aus der Selbsttäuschung, der wir kollektiv verfallen sind.

Der FC St. Pauli, wie wir ihn kannten ist kaputt, oder wie es ein Freund beschreibt: „In der strategischsten Situation seit Kriegsende kann der FCSP keine Alternative sein. Er ist mit Hinblick auf den Profifussball genauso ein Scheiss-Verein wie die anderen auch ( man sehe mir die krasse Ausdrucksweise nach). Er ist vom Grat gefallen und muss mit. Es ist wie Timm Thaler, der sein Lachen an den Teufel verkauft hat. Dafür ist kein Präsidium verantwortlich. Das sind wir alle, die dies auf jeder JHV auch so wollen. Ob das zu revidieren ist? Ich weiss es nicht.“, und spricht mir aus der Seele, wenn er mir schreibt, „Es wird an den eingeforderten Veränderungen liegen. Und daran wird man Oke messen. Ob das alles nur Lippenbekenntnisse sind, oder ob er es ernst meint und hier eine spürbare Opposition in der DFL aufbaut.“

Wir wollten eine Plattform des Guten im Profifußball sein. Ihn benutzen. Und sind gescheitert. Nun heißt es: neu erfinden oder kämpfen gehen.

St. Pauli als Plattform: was soll das sein?

Darüber muss ich noch ein wenig nachdenken, ergänze diesen Artikel also immer wieder …

In der Zwischenzeit: kommentiert gerne mit euren Gedanken und Ideen, und hört euch gerne Willis, Markus‘ und meine Gedanken dazu in unserem Podcast an.