JHV des FC St. Pauli im CCH – ein Hauch von Sozialromantik

20111123-095840.jpg

„Transparenz schafft Vertrauen“, dafür warben im Eingangsbereich des CCH Unterschriftenjäger einer Volksinitiative und Lutz Wöckener und ich hatten denselben Gedanken: Spitzenintro und Motto für diesen Abend, gestern im CCH. Ein Abend, der wie zu erwarten war im Zeichen der Auseinandersetzung der organisierten Fan- und Mitgliederschaft und der Desorganisierten mit dem Präsidium stand.
Mangelnde Transparenz, ja mangelnde Ernsthaftigkeit, das war die Klammer um die Anträge rund um die AFM Jugendförderung, Susis Showbar und den Rückbau der Business Seats. Es sollte ein langer und intensiver Abend werden.

Gut 900 stimmberechtigte Mitglieder fanden den Weg in den schmucklosen Saal des CCH, etwas weniger als doppelt so viele, wie letztes Jahr. Toll, dass so viele auswärtig wohnende St. Paulianer_innen es geschafft haben, an einem Dienstag anzureisen. Ihr Kommen sollte sich lohnen.
Stefan Orth hat dann in seiner Rede auch eine Menge Honig in den Raum geschmiert, vorsorglich die AFM gleich viermal ausdrücklich gelobt und sich im Namen des Präsidiums bei der Frauenfußball-Abteilung für die unsägliche Einmischung entschuldigt.
Spätestens nach dem Bericht des AFM-Vorsitzenden Alex Gunkel und des Aufsichtsratchefs Dr. Kröger, in der man dem Kuttenträger zwischen den klaren Zeilen immer noch begegnet, waren die Fronten des Abends geklärt: Im Wesentlichen ging es vielen Mitgliedern um die Selbstvergewisserung, dass St. Pauli ein basisdemokratisches Kollektiv ist, vor allem als ein Verein begriffen werden will. Im Gegensatz zu dem Eindruck, dass die „FC St. Pauli Gruppe“ als Wirtschaftseinheit geführt und betrachtet wird. Die Diskussion entzündete sich dann immer wieder dort, wo steuerliche Erwägungen in den Fokus gerückt und wesenhafte Aufgaben in den Hintergrund gedrängt werden. Die wahrgenommene Top-Down Kommunikation der Geschäftsführung verstärkt diese Konflikte dann noch.
„Wir sind hier keine privatwirtschaftliche Gesellschaft, sondern ein Sportverein“, Dr. Kröger, Aufsichtsrat
Nach den Ehrungen und der Wahl des Kassenprüfers ging es dann ans Eingemachte. Es war schon ziemlich spät, als die Anträge abgestimmt wurden.
Heiß diskutiert wurde beispielsweise der Antrag, sexistische und nackte Darbietungen, auch in Bikini und Slip zu untersagen und das Präsidium zu beauftragen, solches mit Kündigung zu ahnden. Abgezielt auf die sozialromantische Förderung, Susis Separee dichtzumachen, entspann sich eine rege Diskussion, bei der sich Stefan Orth nicht zu schade war, Stangentanz mit einer Bademoden-Präsentation zu vergleichen. Nach zwei wichtigen Beiträgen von Frauen zum Thema, wurde der Antrag dann mit großer Mehrheit angenommen. (+1)
„Über Beachvolleyball am Millerntorsollte man dann aber auch noch mal reden“, merkte eine Rednerin treffend an.
Ebenfalls rege bis in Rage diskutiert wurde der Antrag von mehreren Desorganisierten, die Business Seats auf der Haupttribüne zu reduzieren. Obwohl Antragsverteidiger Alexej ausdrücklich darauf hinwies, dass nicht gefordert würde, laufende Verträge zu brechen, beschränkte sich das Präsidium auf die Argumentation an diesem Thema. So würden in der 2. Bundesliga 160.000 EUR und in der 1. 700.000 EUR zur Bedienung der 20 Jahre (!) laufenden Kreditverträge fehlen. Der Antrag wurde dann, imho auch unter dem Eindruck der finanziellen Drohkulisse abgelehnt, auch, weil er den USP wohl zu stark auf die Haupt abzielte. Mir ist aufgefallen, dass sich einige Ultras dann aber doch im sozialromantischen Sinne für die Zustimmung entschieden, was mich fröhlich stimmte, so wie die vielen anderen Ja-Stimmen, und es war anzunehmen, dass womöglich der 2. Antrag in diese Richtung erfolgreicher würde.
Dem Präsidium aber konnte man die Erleichterung ansehen, als sie nach Ablehnung des Antrages beinahe zeitgleich die Glieder entspannten und in ihre Sitze sanken. Gleichwohl, und das nehme ich als Erfolg mit, hat diese Initiative von nicht-organisierten Fans und Mitgliedern seine Wirkungsmacht entfaltet und soll sie noch entfalten, wenn das Präsidium nach dieser Nacht womöglich das Nachdenken beginnen sollte, und wie ich zu dem Schluss kommt, dass man das Thema Business Seats aktiv managen muss. Zugunsten eines Ausgleichs des Klimas am Millerntor zwischen VIPs und Fans und einer echten Vielfalt. Das Anliegen geht nämlich nicht weg, und taucht spätestens nächstes Jahr wieder auf.
Vorschläge zum Thema gibt es genug, auch in diesem Blog. Nun sollte man die offenkundige Unterstützung vieler Mitglieder als Auftrag begreifen.
Der Antrag der AFM, die A- und B-Jugendmannschaft des FCSP dem ideellen Bereich zuzuschlagen, wurde dann wieder grösstmehrheitlich und unter tosendem Applaus angenommen, und unterstrich die energische Mahnung des obersten Gremiums an unseren Vorstand, dass unsere Werte und Wesensgrundlagen nicht kurzfristig finanziellen Erwägungen zu opfern seien. Schon gar nicht so selbstherrlich inszeniert, wie in den vergangenen Jahren.
Kurz vor Einläuten der Geisterstunde stimmten dann alle noch verbliebenen Mitglieder_innen für eine Verlängerung der Sitzung, um alle Anträge noch abstimmen zu können. Da war Buttje von der Mopo schon nach Hause gegangen.
Schade, dass ausgerechnet der Antrag zum pauschalen Rückbau der VIP-Seats dann zurückgezogen wurde. Ich vermute, dass der Antragsteller ein wenig Muffen vor der eigenen Courage bekam.
Gegen 1:30 Uhr war ich dann Zuhause. Für eine kurze Nacht, in der ich lächelnd davon träumte, Mäuschen zu spielen, wenn Stefan Orth dem Corny erklärt, dass Susi sich anzuziehen habe und die Bikinis einzupacken … auch die transparenten.

20111123-095859.jpg

In