Post aus Leipzig: Fußball, Red Bull und Tradition

Während der energischen Diskussion um die Gewalt von Borussia Dortmund Supportern ggü RB Leipzig Anhängern bekam ich viele Zuschriften aus Leipzig, unter anderem auch von Nicole vom Fanverbund der RB-Fans. Ich hatte ein paar Rückfragen, die ich ihr per Whatsapp übermittelte. Heute bekam ich ihre Antworten per Post.

Zwei RB Leipzig Fans im Interview

St. Pauli Nu: Wie fühlt es sich an, als Fußballfans auf Fundamentalablehnung zu treffen? Habt Ihr schon eine Form gefunden, damit umzugehen?

Nicole und Luise vom RB-Fanverband: „Eigentlich nicht, nein. Seit Köln hat sich dennoch was verändert. Der Leipziger Fußball war schon immer ein schwieriges Feld. Rivalisierende Mannschaften und als Fans mussten wir uns schon früher positionieren und sahen uns Anfeindungen ausgesetzt. Dadurch hat man sich  ein „dickes Fell“ zugelegt. Bis zum Aufstieg in die 1. Bundesliga waren die Feindseligkeiten der gegnerischen Fans erträglich, da sie sich auf Plakate und Schmähgesänge beschränkten. Wie üblich eben. Wir wurden fast immer von vielen Fans auswärts freundlich empfangen, gerade wie bei Euch auf St. Pauli.

In Köln war es in der Tat das erste Mal, wo wir uns nach Spielende Gewalt ausgesetzt sehen mussten, gegenüber unseren Leuten und auch unseren Fahrzeugen. Dortmund war jetzt natürlich der Gipfel und wir merken, dass jeder und jede, die dabei waren, damit umgehen können. Die Angst wird jetzt immer Begleiter sein, aber natürlich auch die Hoffnung, dass diese Vorfälle vielen Gastgebern zu denken geben werden. Vielleicht gibt genau das jetzt den Anstoß über Fußball an sich, Sicherheitskonzepte, Gruppierungen in Mannschaften usw. neu und anders gesellschaftlich zu diskutieren. Das wäre wünschenswert.“

Zum Konstrukt RB Leipzig gibt es viel Kritik, vor allem, was den recht unverschleierten Einfluss des Hauptsponsors angeht. Wie steht Ihr als Fans dazu?

„Ganz ehrlich: die Fans in Leipzig sind dankbar. Nach ´89 waren wir im Osten stark gebeutelt von finanziellen Missständen der Fußballvereine. Die Leipziger Fußballlandschaft war geprägt von Misswirtschaft,Insolvenzen, Zwangsabstiegen und Neugründungen, dem Versinken in der Namenlosigkeit. Die Menschen waren ausgehungert nach Fußball, es boten sich Chancen auf Bundesliga und sogar vielleicht irgendwann Europa. Zum Anderen ist gerade jungen Menschen eine großartige Chance geboten, den Traum vom Profifußball Wirklichkeit werden zu lassen. Das Ausbildungszentrum ist eine große Nummer und inzwischen ein Aushängeschild. RB fährt in Leipzig ein anderes Konzept und es fühlt sich so an, als wäre die Mehrheit der Leipziger*innen, die Spieltag für Spieltag im Stadion jubeln, ziemlich zufrieden damit.

Ohne Geld ist auch im Fußball heutzutage nichts mehr möglich und RB reiht sich da ein – in alle möglichen Traditionsvereine. Wie diesbezüglich die Perspektive aussieht und ob dieses Konzept auf Dauer tragfähig ist, wird sich rausstellen und auch unter uns Fans wird das selbstverständlich kontinuierlich diskutiert.“

„Die Kritik an fehlender Mitsprache beim Verein ist nicht unberechtigt.“

Der FC St. Pauli ist ein Mitglieder-geführter Verein und will das auf Biegen und Brechen bleiben, auch damit die besondere Kultur am Millerntor erhalten bleibt. Wie organisiert Ihr Mitsprache?

„Nunja, wir können da mit Euch in keiner Weise mithalten. Die Kritik an fehlender Mitsprache beim Verein ist nicht unberechtigt. Dennoch geben wir uns Mühe und versuchen Stück für Stück, Mitsprache einzufordern und diese gedeihlich für alle Seiten zu gestalten. Manchmal mehr und manchmal weniger erfolgreich. Wie bei jedem anderen Fußballverein haben auch wir viele Fanclubs, AG´s und IG´s, die sich in den letzten Jahren gegründet haben. Viele davon sind in unserem Fanverband organisiert. Durch die 7 gewählten Fanvertreter*innen besteht ein enger und regelmäßiger Kontakt zwischen dem Fanverband, den Fans und dem Verein. Das wird!“

Beim letzten Spiel von Leipzig am Millerntor gab es am Ende zwischen der Nord- und der provisorischen Gästetribüne Schalwürfe und gegenseitiges Ansingen. Ist von dem Kontakt etwas geblieben? Wie habt ihr euren Besuch in HH in Erinnerung?

„Die beiden Besuche auf St. Pauli werden uns in schöner Erinnerung bleiben. Wir haben so viele, uns gegenüber positiv eingestellte Menschen, getroffen, das war wirklich unglaublich. Aufstiegswünsche, Willkommensgrüße, Feiern nach Spielende – es war wirklich ein gutes, freundliches, friedliches Miteinander. Am Bahnsteig und auch auf dem Parkplatz wurden Schals getauscht und das Nach-Spiel-Bier gemeinsam getrunken. Genau so stellt man sich doch trotz einer normalen „Rivalität“ in der Liga einen Fußballtag vor!!!“

Im Vorfeld gab es Verlautbarungen aus dem RB-Lager, die eine klare antifaschistische und antidiskriminierende Haltung zum Ausdruck brachten. Von vielen St. Paulianer wurde das als „Marketing“ interpretiert. Wie stark sind solche Versuche, linke Fankultur bei Euch zu etablieren eigentlich wirklich?

„Wir geben uns Mühe. Allesamt. Es ist richtig, dass wir uns an gewissen Stellen laut, kritisch und wortmächtig äußern müssen. Es braucht dafür aber zunächst eine Selbstverständigung: Die internen Diskussionen, wo wir hinwollen, laufen. Das muss gemeinsam im Diskurs entstehen. Man muss sich auch immer vergegenwärtigen: diese Fanszene gibt es knapp acht Jahre. Wir sind eben kein Traditionsverein, bei dem Dinge seit Jahrzehnten klar sind. Das ist nicht nur Nachteil, sondern auch eine große Chance. Wir können so von anderen Vereinen lernen, genau hinschauen, wie dort Fankultur und Fanszene funktionieren, sich Gutes abschauen, aber Negatives bewusst außen vor lassen. Gewalt und Diskriminierung im Stadion. Wir möchten, dass diese Familienfreundlichkeit bei RB nicht nur erhalten bleibt, sondern ausgebaut wird. Es geht darum, aufeinander aufzupassen. Parteipolitik hat in den Stadien nichts verloren, aber man kann auf Einstellungen und Äußerungen seines Nachbarn achten und reagieren.“ 

„Es geht um eine Haltung gegen Rassismus und Diskriminierung und eine sozial engagierte Fanszene. Das ist der Anspruch.“

Wo steht RB Leipzig in fünf Jahren? Und wie geht es dann dem deutschen Fußball?

„Wir hoffen natürlich, dass unser RB Leipzig auch in 5 Jahren noch in der 1. Bundesliga spielt, vielleicht sogar auch schon die ein oder andere internationale Luft schnuppern konnte. Wir sind uns sicher, dass Nachwuchstalente aus unserer Akademie auch den Sprung in die Nationalmannschaft schaffen können. Wie es dem deutschen Fußball geht, ist natürlich keine einfache Frage. Erst einmal spielen unsere Jungs einen tollen, frischen Fußball, und nicht das Geld schießt die Tore, sondern Training und harte Arbeit. Vielleicht wäre das schon mal ein guter Punkt, den Leute, die über Kommerz und fehlende Tradition schwadronieren, verstehen müssten. Und ja, woher Tradition, wenn erst acht Jahre alt. Wo bitte ist das Problem? Wir hätten gern eine Chance, zu beweisen und zu erklären und für andere erlebbar zu machen, was an RB möglicherweise anders ist. Und dieses andere versuchen wir zu erhalten und zu bewahren, um in einem oder zwei Jahrzehnten sagen zu können, das ist unsere gewachsene und erarbeitete Tradition. Wir wünschen uns, dass man wieder zur Menschlichkeit zurück findet und Fußball als das sieht, was er sein sollte: schöne Tage mit Freunden, ohne Angst und Gewalt, seine Mannschaft lautstark anfeuern und nach dem Spiel gemeinsam feiern.“

Herzlichst, Nicole und Luise.

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg in der Liga – vielleicht sehen wir uns ja irgendwann auf dem Rasen wieder 😉

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