Die meisten Bewohner St. Paulis sind, wie die Bewohner der angrenzenden Stadtteile Altona, Ottensen, Sternschanze und Neustadt, selbst Gentrifizierer: wir haben selbst zur Aufwertung unserer Viertel beigetragen, als wir in Ende der 80er, Mitte der 90er Jahre hierherzogen – haben auch verdrängt. Das macht den Blick auf Verdichtung und den Erhalt von Vielfalt so ambivalent. Heute war ich auf einer Baustelle zu Besuch, die ausgesprochen zwiespältige Signale aussendet: Die Rindermarkthalle St. Pauli.
Ole und Natalie arbeiten für die PR-Agentur von Edeka und begleiten die Eröffnung der von Edeka gepachteten und umstrittenen Nahkaufhalle; Ole steht auf der Gegengerade schräg unter meinem Stammplatz – am Samstag gegen Ingolstadt hätten wir uns zuwinken können. Alles das, was in unserem Verein so stark an einem zieht, oft in verschiedene Richtungen, offenbart sich in dem Gespräch, das wir führen, als wir über die Baustelle spazieren. Am Ende steht der weite Blick auf ein sehr grosses Einkaufzentrum, eine Markthalle, die den Rahmen für lebendiges Treiben bieten will, und die vieles richtig macht; ein Projekt, das aber nie den Mut gefunden hat, die Kontrolle abzugeben – und deswegen vielleicht auch vergeblich nach Verwurzelung sucht.
St. Paulianer stehen ja auf Symbole; die Esso-Häuser sind so eines, die Flora auch oder Park Fiction. Als ich so durch die sanierte Halle gehe und Ole mir erklärt, welche Marktflächen für welchen Zweck vorgesehen sind, erkenne ich auf dem Oberdeck provisorisch übertünchte Graffiti. Ein Symbol?, dafür, dass Edeka ein steriles Yuppie-Einkaufparadies bauen will? Ich weiss es nicht – das ist zum derzeitigen Augenblick nicht zu erkennen. Klar scheint mir jedoch, dass der Rückzug der vielen Inis aus dem Viertel strukturelle Gründe hat, die nach meinem Eindruck vor allem in dem Unwillen der Politik und der Unfähigkeit von Edeka liegen, die Entwicklung eines solchen Stadtteilmarkplatzes teilweise dem Zufalle zu überlassen, den Kontrollverlust einzukalkulieren.
Die Entscheidung der Politik, die Rindermarkthalle für zehn Jahre an die Edeka Nord zu vermieten führt dazu, dass die Edeka nun über 10 Mio. Euro investiert, um die Nahversorgungsfunktion des Gebäudes wiederherzustellen und die Flächen instand zu setzen. Klar ist, dass kein Unternehmen diese Summe investiert und dann die Entscheidung über die Nutzung komplett aus der Hand gibt. (rindermarkthalle.de)
Projekte dieser Größe tendieren dazu, dass sich das politische Establishment mit denjenigen, die dort investieren sollen so verzahnt, dass für organismische Entwicklung kein Platz bleibt. Das liegt nach meiner Erfahrung an dem Irrglauben, dass agile und chaotische Prozesse zu schlechteren Ergebnissen führen, als bürokratische. Ich bin zu wenig im Thema, um mir ein abschliessendes Urteil zu bilden; ich nehme Ole und Natalie ab, dass sie im Rahmen des Möglichen versuchen, Anschluss zum Viertel herzustellen (auch aus kaufmännischer Sicht eine gute Idee übrigens); ich verstehe, dass Stadtteil-Inis genervt blockieren, sich dem Vorwurf der Fundamentalkritik aussetzen müssen, wenn sie am Entscheidungsprozess nicht insofern beteiligt sind, dass sie auch entscheiden können!
Es klingt durchaus positiv, dass es eine DOM-Kita geben soll, für die Kinder von Schausteller-Familien, auch dass soziokulturelle Projekte für 5 Euro/qm Flächen mieten können, lässt den Willen Edekas erkennen, sich in das Viertel zu fügen. Wenn wieder einmal Viva Con Agua eines dieser Projekte ist, eines, das inzwischen so professionelle Strukturen hat, dass es kompatibel zu so einer Projektbürokratie erscheint, dann ist das eben das Grunddilemma, der „Bruch“, wie es Ole formuliert, der durch St. Pauli geht – und bei dem es spannend wird mitanzusehen, ob die Rindermarkthalle es schafft, Räume aufzumachen, in denen sich auch das Wilde Kraut ansiedeln kann.
Ich bin gespannt – Eröffnung ist am 18. September …
Links:
FAQ Rindermarkthalle, off. Website
Thema bei HH-Mittendrin
FAQ Ini Unser Areal
Bericht über Vergabe der soziokulturellen Flächen