Boss Hoss spielen am Millerntor, WTF?

Boss Hoss am Millerntor? WTF?
The BossHoss bei Rock im Park 2016
pitpony.photography – Eigenes Werk
The Boss Hoss @ Rock im Park 2016
CC BY-SA 3.0

Prosieben-Western-Machos promoten irgendwas und der FC St. Pauli bietet die Bühne?

Ich musste unwillkürlich lachen, als ich las, dass Boss Hoss, eine deutsche Schrammel-Rock-Band mit Privatsenderhintergrund, am Sonntag, beim Heimspiel gegen Holstein Kiel, ein Konzert auf dem Südkurvenvorplatz spielen wollen.

Mein Lachen wurde dann aber schnell bitter, so einen Kursrutsch in punkto Stil hatte ich selbst meinem Schrammel-Punk-Verein nicht zugetraut. Gegen Boss Hoss sind Slime ja noch echte Heroen widerständiger Kunst!


Dabei stört mich in erster Linie nicht, dass die Western-Macho-Attitüde so viel toxische Männlichkeit ausstrahlt, wie viele kritisieren. Auch will ich Boss Hoss nicht in Mithaftung nehmen für die kruden Ansichten ihres Co-Jurors bei „The Voice of Germany“; was mich zutiefst stört ist die Provinzialität, das winsenluhische, das die beiden verkörpern:

Party Pauli trifft Feuerwehrfest.

Podcast-Zwischenruf zu Boss Hoss beim FCSP.


Der FC St. Pauli braucht viel mehr Musik und Popkultur, das meine ich seit langem. Nur Punk-Rock macht auf Dauer auch spießig. Aber lieber FCSP, dass ihr dann Boss Hoss auf die Bühne holt, so ohne irgendeinen Twist, ohne Support, der die Jungs mal herausfordert; das hat mich erschreckt.

St. Pauli ist Mainstream, wie der HSV

Stellt euch doch mal die Frage, ob es einen Unterschied machte, wenn Boss Hoss beim HSV spielten; passen die nicht viel besser zu unserem Gast am Sonntag, zu Holstein Kiel? Wo ist denn der Unterschied zu Lotto King Karl, außer dass Letzterer Stadien füllt, warum auch immer.
Für mich ist das eine Band, die ich das erste Mal in einem Kinderfilm sah. Da passten die auch gut hin. Der Film spielt in der Heide und erzählt die Geschichte eines mutigen Mädchens, das ein Pferd rettet. Am Ende feiern alle und zwei Dorfrocker schrammeln auf der Gitarre.

St. Pauli: international Riot-Gear, zuhause spießige Provinz

Die Schere zwischen dem, was der FC St. Pauli zuhause am Millerntor zu bieten hat und wofür er im Ausland steht, wird immer krasser.

Bei den Protesten um den Gezi-Park trugen einige Protestanten den Jolly Roger, unseren Jolly Roger. In Griechenland ein wenig später auch, als sich vor allem die Jugend gegen den germanischen Sparzwang zur Wehr setzte. In den USA trägt man St. Pauli, wenn man vor dem Trump Tower ausspuckt und sich verhaften lässt, weil man diese vertrumpte Welt nicht mehr ertragen kann.


Zuhause inszeniert sich der FC St. Pauli dagegen gerade als Wohlfühlsender, als Host für Entertainer der ZDF-Generation. Schlimm.


Dabei habe ich gar nichts gegen Schrammelrock, singe den ja gerne selbst. Auch Punk hat einen unverrückbaren Platz in meiner Biografie und zurecht auch in diesem Verein. Aber wenn das alles andere überdeckt, dann haben wir ein Problem.


Initiativen, die andere Kunst ans Millerntor bringen, sind an dem Wegbeissen des Establishments gescheitert; lange her, dass „Fußball und Liebe“ Künstlerinnen, wie Sookee und Love Newkirk ans Millerntor lockten. Einzig die Millerntor Gallery trotzt da dem Mainstream-Backlash.

Dabei will der FC St. Pauli doch Plattform sein „für Menschen, die Sachen machen“, wie es Martin Drust zuletzt auf der Content Marketing Masters Konferenz in Berlin ausdrückte. Dabei war sicher nicht gemeint, einer erfolgreichen Prosieben-Band eine Promotion zu gönnen, oder?


St. Pauli Fans gegen Discophobie war seinerzeit ironisch gemeint, als Weckruf. Nun wird es zu einem Schlachtruf. Dafür ist das Thema zu wichtig. Immerhin geht es hier um Stil und Kultur, also um Leben und Tod!