Das Bornemann-Dilemma

Warum der FC St. Pauli mit seinem Sportchef fremdelt.

Irgendwann geht eine Ära eben auch zu Ende, so wie die der Boys in Brown, die einst auf Legenden folgten, auch mit dem eigenen Anspruch, selbst zu welchen zu werden. Am letzten Spieltag der Beinahe-Aufstiegssaison verabschiedet der FC St. Pauli drei Urgesteine – und es rumort im Klub. Im Zentrum der Kritik: Sportchef Andreas Bornemann. Warum eigentlich?

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Mit Buchtmann und Ziereis, sowie Torwarttrainer Matze Hain verlassen die drei letzten Spieler einer vergangenen Ära das Millerntor. Mit James Lawrence folgt ihnen ein außergewöhnlicher Spieler, der schwer zu ersetzen sein wird.

Buchtmann, Ziereis: die gefühlten Bundesligisten sind am Ende ihres St. Pauli Spielerzyklus angekommen

Zehn Jahre spielte Christopher Buchtmann für die Boys in Brown. Zehn Jahre, in denen ich immer das Gefühl hatte, dass er nie ganz angekommen ist. Zehn Jahre, in denen seine Talente aufblitzten, Führungsansprüche formuliert und Hoffnungen auf das Morgen verschoben wurden. Ich war einer seiner größten Kritiker und mochte ihn trotzdem. Dass Andreas Bornemann aber ihn und auch Philipp Ziereis, durchaus Großverdiener im Kader des FC St. nun entlässt, ist nicht nur der alten Management-Regel geschuldet, die Einkäufe der Vorgänger abzuwickeln. In meiner Wahrnehmung konnten beide ihrem eigenen Anspruch nur punktuell gerecht werden. „Ihr Zenit ist lange überschritten“, sagt mir Markus am Telefon, und ergänzt: „da wird viel Budget für die Zukunft frei“. So ist der Lauf der Dinge.

Und dass diese beiden mutmaßlich für die Verwirrung und den Stunk am Ende des Aufstiegsrennens mitverantwortlich sind, macht den Abschied beinahe süß.

Matze Hain – der Analoge in einer digitalen Fußballwelt

Von Matze Hain habe ich ein Autogramm, das mir Willi besorgt hat. Es steht auf meinem Schreibtisch und ist das Einzige, dass ich je von einem Spieler des FCSP besaß (ausser dem von Ivo Knoflicek, aber das war via ebay gekauft und zählt deswegen nicht mit). Nicht nur für mich ein besonderer St. Paulianer.

Vor einigen Jahren schon hörte ich aus dem Verein, dass Matze Hain eher analog unterwegs ist; sich schwer modernen, digitalen Analysemethoden öffnet. In einer Zeit, in der die jungen Wilden als Trainer ans Millerntor ziehen, wirkt er wie ein Dino aus alter Fußballzeit. Ohne Wertung seiner Arbeit, denn die maße ich mir nicht an, wirkt auch sein Abgang wie ein Generationenwechsel. Und die sind bei aller Melancholie nicht nur unveremeidbar, sondern auch gesund.

James Lawrence – fragiler Weltklassefußballer mit Haltung

Ich erinnere mich gut an JL’s Insta-Story, als in England der Jolly Roger des FC St. Pauli in Terror-Broschüren auftauchte und er klar Stellung bezog; mit einer Prise Humor, die St. Pauli gut zu Gesicht stand.

Es wird schwer, einen Ersatz zu finden, der einem gesunden JL sportlich und charakterlich das Wasser reichen kann. In ihm zeigt sich das #FCSP Dilemma zwischen Underground und Mainstream besonders stark.

Underground vs. Mainstream – Bornemanns schwere Aufgabe: der Ritt auf der Rasierklinge

Wer jetzt, nach dem verpassten Aufstieg, auf unseren Sportchef zeigt – auch weil er so Manager-haft redet und sich die Sympathie mit Schulle einfach auch nicht teilen kann, der springt zu kurz.

Sportlich hat er uns in den letzten 36 Monaten von einem Abstiegskandidaten zu einem Aufstiegsaspiranten geformt. Kofi, Jackson, Medic, Burgstaller und Co. sind hammermäßige Transfers. Da genießt der Mann allen Respekt, den ich aufbringen kann.

Coaching braucht der Sportchef des FC St. Pauli in einer anderen Disziplin: der Entwicklung eines Kaders, der nicht nur sportlich besser ist, als der alte; sondern der mehr Menschen, wie Jackson Irvine, Lawrence oder Makienok integriert. Boys in Brown, die auch persönlich und politisch zu St. Pauli passen. Die das Zeug haben, echte Legenden zu werden, wie ihre Vorvorgänger-Generation.