Ein schwuler Profifussballer beim FC St. Pauli: Ist der Kiezklub bereit für ein Coming Out?

Wie bereit ist der deutsche Fußball für das Normalste der Welt: einen schwulen Profikicker?

Wie bereit ist der FC St. Pauli?

Diese immer wiederkehrende Frage wird dieser Tage wieder aktuell. Gerade hatte der Kinofilm „Mario“ Premiere. In diesem greift Regisseur Marcel Gisler diese Thematik auf und schildert eindrucksvoll die Ängste und Probleme eines homosexuellen Profifußballers.

Der FC St. Pauli, der ein Teil des Kinofilms ist, war am vergangenen Dienstag (2.10.) zur Deutschlandpremiere in Hamburg eingeladen. „Der Film hat die Kiezkicker auch mehrere Tage nach der Vorstellung noch intensiv beschäftigt“, schreibt der Kiezklub auf seiner Homepage und liefert ein beeindruckend erwachsenes Interview mit Mats Møller-Dæhli dazu.

Der norwegische Nationalspieler hat eine sehr differenzierte Sicht auf Homophobie und markiert instinktsicher das Kernfeld der Diskussion: die Kabine und das Stadion:

„Es liegt … an uns Spielern, ein geschütztes Umfeld in der Kabine zu schaffen. Die Kabine ist der Ort, wo du dich als Fußballer die meiste Zeit aufhältst. Dort muss man sich wohlfühlen, dort muss ein gesundes Klima herrschen. In vielen Kabinen auf dieser Welt gibt es dahingehend großen Nachholbedarf.“

Mats bei FCSP.com

Ist der FC St. Pauli wirklich auf ein Coming-out vorbereitet?

Ewald Lienen hat sich vor einem Jahr beim jährlich stattfindenden Startschuss Fußball-Turnier für queere Fußballer über ein mögliches Coming-out eines Spielers geäußert, dort fiel auch unten zitierter Satz, der nun wieder überall zitiert wird.

„Ein schwuler Spieler wäre bei uns der Star“
– Ewald Lienen

***

Podcast-Trailer zum Thema „Homophobie“ und „Coming-out“

***

Grundsätzlich, so Lienen, sei noch ein weiter Weg im Fußball zu gehen, bis Diskriminierungsfreiheit herrsche, so lese ich die Zitate, die ich in der Mopo, der FAZ und dem Hamburger Abendblatt finde.


Ich frage mich: Ist der FC St. Pauli denn überhaupt vorbereitet darauf, ein Coming-out beispielsweise eines Jugendspielers im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) zu begleiten? Wie sehen da konkret die Prozesse aus? Wer ist Ansprechpartner dieses Jungen? Ewald, Du?

Sind wir wirklich der „etwas andere“ Klub?

Ich habe da so meine Zweifel, dass es für einen (angehenden) Bundesliga-Profi eine gute Idee wäre, sich zu outen.

Ich sehe nicht, dass sich das Umfeld, in dem Corny Littmann 2012 jeden schwulen Fußballer davor gewarnt hat sich zu outen, wesentlich verbessert hätte. Im Gegenteil: das Aufkommen der AfD macht das Szenario noch bedrohlicher.

„Für einen schwulen Profi-Fußballer würde das Outing aktuell das Ende seiner Karriere bedeuten. Er müsste befürchten, dass er innerhalb seiner Mannschaft und des Vereins Probleme bekommt“

Corny Littmann, 2012, Queer.de

Ein schwuler Fußballer stünde dem FC St. Pauli gut zu Gesicht, das finde ich auch. Und den Mut, in einer heteronormativen Welt sich zu zeigen, wäre bewundernswert. Aber sind wir wirklich so stabil, wie wir gerne tun? Wie verhindern wir, dass der Mensch in dem Trubel, der dann lösbräche, keinen Schaden nimmt? Was passiert auswärts, nach seinem Vertragsende bei den Boys in Brown?

Nicht erst seit der Debatte um die homophoben Sticker auf der Nord, kann man das ehrlich bezweifeln, dass beim FCSP die sexuelle Orientierung tatsächlich „keine Rolle spielt“. Auch das Wiederholen von Klischees hilft hier wenig, wenn Ewald Lienen vermutet, dass die schwulen Spieler unter seiner Leitung „im Zweifelsfall … die kreativsten Leute (waren), die im Mittelfeld die tollen Pässe gespielt haben“. Auch hier vermute ich eher, dass Corny Littmann da näher dran ist, wenn er ggü diesem Blogger einst sagte, dass die schwulen Spieler die härtesten sind, die männlichsten, die penibel darauf achten, auf keinen Fall als „weich“ zu gelten.

Und nu?

Die Regenbogenflagge auf dem Dach und auf dem Trikot ist schonmal stark, aber reicht das aus? Ich habe den FC St. Pauli schon vor einem Jahr gefragt, wie der Prozess aussieht, falls ein Spieler sein Coming-out vorbereitet oder was vorbereitet ist, wenn – was kritischer wäre – jemand geoutet würde. Die Antwort von Ewald Lienen blieb bisher aus.

Außerdem sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass das Schwadronieren von Heten zu diesem Thema – und das schließt mich ein* – nur bedingt hilfreich ist und dass St. Pauli, als Teil des Fußball-Zirkus, eben nicht die Insel der Glückseligen ist – noch nicht.

„Der FC St. Pauli ist auf einen solchen Fall nicht vorbereitet“

Aktionsbündnis gegen Homophobie & Sexismus Sankt Pauli

Ich habe zu diesem Thema mit Sandra vom Aktionsbündnis telefoniert. Auch dort ist man irritiert von den Aussagen Lienens – vor allem über die „kreativen Leute mit den tollen Pässen“. Sandra ist davon überzeugt, dass der FC St. Pauli nicht ausreichend auf einen solchen Fall vorbereitet ist. Zum einen fehlen konkrete Ansprechpartner, wenn es um das Thema Diskriminierung geht. Im NLZ sind zwar gerade die Kapazitäten für eine allgemeine Sportpsychologische Betreuung erweitert worden, ein klarer Prozess, wie der FC St. Pauli konkret ein Coming-out betreuen will, fehlt völlig

Die Grenzen des Ehrenamts

Zum anderen sieht nicht nur das Aktionsbündnis hier die Grenzen des Ehrenamts erreicht. Der FC St. Pauli braucht Personen, die sich hauptamtlich dieser Herausforderung stellen, Angestellte mit Mandat, die entweder gut geschult sind oder Expert_innen in diesen Themen. Sonst kann es passieren, dass wir uns durch unseren „Botschafter“ Ewald Lienen Lorbeeren abholen für unser Engagement, das dann einem jungen Menschen im Lebenslauf explodiert.

***

Ich habe mir länger überlegt, diesen Artikel zu schreiben. Ich halte das nämlich für schwierig, wenn ausgemachte Heten, wie Ewald, meine Wenigkeit oder Marcus Wiebusch dieses Thema „besetzen“. Allerdings kommt es immer mal wieder vor, dass man von Betroffenen von Diskriminierung nach vorne geschickt wird; in dem Sinne, dass man weißen, männlichen Heten einfach mehr zuhört und homophobe Anfeindungen an mir eben abprallen. In diesem Sinne poste ich hier; nehme aber gerne jede Kritik an und höre gespannt zu, denn das Thema „Vielfalt“, zu der auch dieses gehört, ist mir ein Anliegen in diesem Klub. Dazke.

Podcast als Videogram: