Werte wagen, Wagenburg

Die Südtribüne des Millerntor im goldenen Herbst.

FCSR, USP, AFM, Fanladen, hab ich was vergessen? Da kann man ganz schnell durcheinander kommen, denke ich, wenn ich die Artikel im Abendblatt, der Welt oder der Mopo lese – obwohl letztere noch am besten Bescheid weiß.

Ist aber auch schwer, die vielen Inis, Institutionen und Abteilungen auseinander zu halten. Fest steht: große Teile der aktiven Fanschaft wollen Andy Grote heute Abend nicht am Millerntor sehen.

Und auch, wenn ich mich oft bemühe, ihr nicht allzu nahe zu kommen – heute gehöre ich dazu.

Beinahe.

Ich finde nämlich einen kritischen Austausch mit dem gefährlich putzigen Innensenator und dem Kalifen des DFB eigentlich gut; eine Gelegenheit den beiden mal öffentlich und mit feinem Florett den einen oder anderen argumentativen Hieb zu versetzen.

Dafür bräuchten die vereinsmeinungsbildenden  Gruppen aber einen Sprachrüssel nach Außen, nicht nur ins Innen. Gerade, als ich mir einen Americano im Playground bestelle und mir beginne vorzustellen, wie so eine Person gebaut sein sollte, die uns alle, die Süd, die kritischen, aktiven und faulen, Mitglieder und Fans, mich auch vertreten könnte – vor meinem geistigen Auge erscheint eine Person, die Jutta Dithfurt und Gerry Adams irgendwie ähnelt – klingelt das Telefon.

Der Kölner ist dran.

Der Kölner heisst so, weil er aus Köln ist und in jedem unserer Podcasts die Fortuna aus Köln unterzubringen versucht. „Diskursverweigerer“, schimpft er und meint mich und die vielen anderen, die Andy Grote für weniger harmlos halten, als es auf den ersten Blick scheint.

„Ich lasse mich zumindest von dem Buxtehuder Bubencharme nicht blenden“, höre ich mich sagen. Und ergänze: „Diskurs ist ja fein, Werte auch, aber wer das eine diskutiert, der muss auch die Machfrage stellen. Ich kann das schon verstehen, dass die Jungs und Mädels aus der Süd, die sich Spieltag für Spieltag von Grotes Polizei drangsalieren lassen müssen, deren Mitstreiter_innen unter hanebüchenden Vorwänden eingeknastet werden, nicht nur bei G20, im Millerntor einen Safe Place sehen, den sie verteidigen“.

„Trotzdem doof“, sagt der Kölner. „Dann nimmt man sich aus der Debatte heraus, dann ist man leichte Beute.“ – da fällt mir „Jutta Adams“ wieder ein – meine Jeanne d’Arc auf Fußballpodien, unser politischer Arm, der sich eloquent und doch hartkantig gegen Profileugner und Verbieger richten kann, sie öffentlich demaskiert, ja häutet. Ich schweife ab, höre K. gar nicht mehr richtig zu, da schnalzt es im Hörer. „Das glaube ich ja jetzt nicht!“

„Was?“, frage ich und trinke endlich einen Schluck meines inzwischen kalten Kaffee. „Die machen aus der Veranstaltung eine Geschlossene Gesellschaft“. Der Kölner lacht und fängt an zu husten. „Wie erbärmlich ist das denn?“

Veranstaltung „Unser Fußball – braucht neue Werte“ findet nicht wie geplant statt

Die Veranstaltung „Unser Fußball – braucht neue Werte“ wird nicht wie geplant öffentlich stattfinden, lese ich in einer frisch eingetroffenen Pressemeldung.

„Das Ziel, heute Abend über neue Werte im Fußball zu diskutieren, sehen wir in der ursprünglichen Form stark gefährdet, denn durch die Intervention und den Protest von verschiedenen Fangruppierungen und nun auch durch politische Gruppen sehen wir einen reibungslosen Ablauf der Podiumsdiskussion nicht mehr gewährleistet und können sie daher aus Sicherheitsgründen nicht wie geplant durchführen“, sagt Joachim Weretka, Mitglied des Veranstalters fairnetzer.1910.

De facto bin ich also ausgeladen. Und Andy Grote geistert trotzdem in der Süd rum. Gespenstisch.

„Das Präsidium bedauert die Entscheidung, denn der FC St. Pauli steht für eine offene und tolerante Diskussionskultur und wird sich auch weiterhin in Gesprächen und Diskussionen mit in Teilen der Öffentlichkeit kontrovers gesehenen Menschen sachlich und kritisch auseinandersetzen und im Sinne der Inhalte von wichtigen sportpolitischen Themen agieren“

Oke Göttlich

Ich lache mit.